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Diskussionsbeitrag

Digitalisierung im Bildungswesen 

 

NOVEMBER 2019

 

 

Wenn man allein die Zahl der veröffentlichten Artikel nimmt, dann scheint es derzeit kaum ein wichtigeres Thema für unsere Schulen zu geben als die „Digitalisierung der Bildung“. Hinter diesen Schlagwörtern versammeln sich Abgesandte von Verlagshäusern, Lobbyisten der Testindustrie (PISA) und der wirtschaftsnahen OECD sowie Vertreter der empirischen Bildungswissenschaft, linker Organisationen wie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und nicht zuletzt Bildungspolitiker von der FDP bis zur Linksfraktion. Sie alle verfolgen vordergründig das gleiche Ziel: das Bildungssystem national und international zu vereinheitlichen und es an Interessen und Geschäftsmodelle der Bildungsindustrie anzupassen.

 

Die Medienkonzerne, die in unseren Schulverwaltungen und Schulen aktiv sind, sowie die von der OECD gesteuerte Testindustrie verfolgen vor allem wirtschaftliche Interessen. Sie wollen Bildung messbar machen und den „Markt Schule“ wirtschaftlich nutzen.

Die empirische Bildungswissenschaft ist dabei ihr natürlicher Partner. Sie weitet sich seit Jahren zu Lasten der theoretischen Bildungswissenschaft aus. Die empirische Bildungswissenschaft ist bei Politikern aber deshalb so beliebt, weil sie innerhalb nationaler und internationaler Vergleichsstudien konkrete Zahlen nennt, etwa für die Lesefähigkeit von Schülern.

 

Durch Studien wie dem Programm zur internationalen Schülerbewertung (PISA), die Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (PIRLS), sowie das Internationale Programm zur Untersuchung der Kompetenzen der erwachsenen Bevölkerung (PIAAC)  vermittelt die empirische Bildungswissenschaft den Anschein größerer, wissenschaftlicher Objektivität.

 

Allerdings ist Pädagogik keine naturwissenschaftliche, sondern eine gesellschafts- und sozialwissenschaftliche Disziplin auf philosophischer bzw.

geisteswissenschaftlicher Grundlage. Sie kann und darf deshalb auch nicht den Erbsenzählern der empirischen Bildungswissenschaft überlassen bleiben. Die empirische Bildungswissenschaft kann mit ihren Methoden oftmals nicht erfassen, was gute Pädagogik und Bildung ausmacht. Beides lässt sich nicht messen und vergleichen.

 

Linke Gewerkschaften und Bildungspolitiker unterstützen die Digitalisierung, Ökonomisierung und globale Vereinheitlichung der Bildung, weil sie sich davon mehr Gleichheit und Gerechtigkeit im Bildungswesen versprechen. Die linke Bildungspolitik, die derzeit in Deutschland vorherrscht, geht davon aus, dass für unterschiedliche Bildungserfolge weniger der einzelne Schüler verantwortlich ist, sondern sie auf sein persönliches Umfeld und die gesellschaftlichen Umstände zurückgehen.

 

Linke Bildungspolitiker misstrauen deshalb Eltern und Lehrern. Sie wollen deren Einfluss und deren Autorität verringern, um allen Schülern „gleiche Chancen“ geben. Deshalb unterstützen linke Bildungspolitiker den flächendeckenden Ausbau der Ganztagsschulen und versuchen, Lehrer zu „Lernbegleitern“ herabzustufen. Sie haben das Ziel, den „Faktor Elternhaus” zu beseitigen. 

Der herkömmliche Unterricht, die Gemeinschaft von Lehrern und Schülern, soll durch die Digitalisierung weitestgehend aufgelöst werden. Der einzelne Schüler soll dann individuell, in der „Cloud“, lernen. Er soll seine Aufgaben nicht mehr vom Lehrer erhalten, sondern durch die entsprechende Lernsoftware, die seinen Leistungsstand und Lernfortschritt steuern und überwachen soll. Die dabei anfallenden Daten sollen gespeichert werden und als Grundlage für weitere Maßnahmen dienen, etwa dem Vergleich und der Bewertung von Schulen oder der Weiterentwicklung der Lernsoftware zu Programmen, die auf künstlicher Intelligenz (KI) basieren.

 

Die Schulen werden durch entsprechende Verträge und teuer erworbene Lizenzen mehr oder weniger gezwungen sein, die jeweilige Software zu nutzen. Dadurch wird ihnen kaum noch Geld für andere Lernmittel, etwa für Bücher, zur Verfügung stehen.

Für den Bund eröffnet sich damit die Möglichkeit, Lerninhalte zentral und direkt zu steuern. Das aber untergräbt den Föderalismus in der Bildungspolitik. Es schafft die Grundlage dafür, dass unsere Schüler durch politisch gesetzte Themen in einem bisher nicht vorstellbaren Maße politisch beeinflusst werden können.

 

Die Digitalisierung und Ökonomisierung des öffentlichen Bildungswesens setzt einen grundlegenden pädagogischen Paradigmenwechsel voraus: Sie ist mit dem humanistischen Menschenbild und der von Wilhelm von Humboldt geprägten Pädagogik nicht in Einklang zu bringen. Der berühmte Philosoph prägte die Vorstellung das „Lernen zu lernen“. „Der Schüler ist reif“, sagte er, „wenn er so viel bei andern gelernt hat, dass er nun für sich selbst zu lernen im Stande ist.“ (tagesspiegel.de).

Getreu dem Humboldt’schen Bildungsideal ist Bildung also zunächst zweckfrei oder hat, anders ausgedrückt, ihren Zweck zuerst und vor allem im Inneren: im Individuum selbst, in der Vervollkommnung des einzelnen Menschen. Erst an zweiter Stelle steht der Gedanke, dass die erworbene Bildung für den Menschen ökonomisch nutzbar gemacht werden kann. Diese „allgemeine Menschenbildung“ sollte nach Wilhelm von Humboldt Ziel eines guten Schulunterrichts sein.

 

Etwas anderes ist hingegen die Ausbildung für einen bestimmten Beruf. Berufsausbildung hat ihren Zweck nicht mehr nur und zuerst im Individuum selbst, sondern ist auf etwas Äußeres gerichtet: darauf, den beruflichen Anforderungen gerecht zu werden. Die berufliche Bildung ist also speziell, die Schulbildung allgemein.

 

Diese Trennung von allgemeiner Schulbildung und Berufsausbildung ist sinnvoll, weil Kinder oft noch gar nicht wissen (können), welchen Beruf sie später einmal ergreifen wollen. Außerdem wäre ein in der achten oder neunten Klasse erworbenes berufsspezifisches Wissen in vielen Fällen schon wieder veraltet, wenn die Schüler damit Jahre später in den Arbeitsmarkt eintreten.

Gerade in Zeiten schnellen technologischen Wandels und dem Verlust traditioneller Berufsbilder muss deshalb an der bewährten Unterscheidung zwischen allgemeiner Schulbildung und beruflicher Ausbildung festgehalten werden.

DESHALB FORDERE ICH:

 

 

I  den Informatikunterricht zu stärken, anstatt die „allgemeine Digitalisierung“ zu fördern,

 

I  den klassischen Präsenzunterricht durch den Lehrer zu erhalten, anstatt das „Lernen in der Cloud“ zu  propagieren,

 

Mobiltelefone an unseren Grundschulen zu verbieten,

 

I  der Testindustrie den Zugang zu Schulen und Schülern zu untersagen und die entsprechenden Verträge mit              Lobbyorganisationen zu kündigen,

I  unser Bildungswesen nicht zu ökonomisieren und global zu vereinheitlichen,

 

I  die gegliederte Schullandschaft mit Gymnasien, Realschulen Haupt- und Förderschulen zu erhalten und                    wiederherzustellen,

I  Disziplin und Ordnung durch Verschärfung der Ordnungs- und Erziehungsmaßnahmen durchzusetzen,

 

I  das Leistungsniveau an den Schulen anzuheben und den Schülern somit das Recht auf Erfolge und Niederlagen        zu gewähren,

 

I  andauende Reformen und Bildungsexperimente auf dem Rücken der Schüler zu unterbinden,

 

I  die Zugangsberechtigung zu Schulen zum Erwerb der Hochschulreife auf das akademisch leistungsstärkste Drittel      der Schüler des jeweiligen Jahrgangs zu begrenzen,

 

I  die föderalen Strukturen zu bewahren und Bildung nach wie vor als Ländersache zu betrachten.

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